Von Stadtteilmüttern und Supervätern

Freundlich lächelnd blickt dieser Mann herüber. Es ist ein optimistisches, gut gelauntes Lächeln. Immer wieder scherzt und lacht er, untermalt seine Worte mit lebendiger Gestik - überhaupt hat er sichtlich sehr viel Spaß am Erzählen. Dann und wann winkt er den Frauen und Kindern zu, die immer wieder durch den Raum wuseln und sich höflich für die Störung entschuldigen oder an den Fenstern vorbeilaufen.

Mahdi Saleh ist Mitarbeiter des interkulturellen Kinder- und Elternzentrums des Diakonischen Werks Neukölln-Oberspree. Seit mehreren Jahren leitet der studierte Sozialpädagoge dort das Projekt "Super-Väter", das den Vätern aus Familien mit Migrationshintergrund bei der Kindererziehung helfen soll.

"Neukölln ist gekennzeichnet durch schwache soziale Strukturen, erschreckend hohe Arbeitslosigkeit und eine hohe Bevölkerungsdichte. Fast 40 Prozent der hier lebenden Menschen haben einen Migrationshintergrund", erklärt Saleh. Lediglich die Hälfte aller dort lebenden Kinder besucht eine Kindertagesstätte (Kita). Zum einen mangelt es den Eltern aufgrund des fehlenden Einkommens an Geld für eine Kindertagesstätte; zum anderen sehen die Mütter, die oft Hausfrauen sind, auch nicht die Notwendigkeit, ihr Kind in eine Kita zu schicken. Auch die Sprachbarriere und eine daraus resultierende Unsicherheit und Scheu spielt häufig eine große Rolle. Folge ist: Bei der Einschulung können die Kinder kein Deutsch.

"Die große Politik kann nicht alles lösen, deshalb versuchen wir, mit Beteiligung der Leute vor Ort Hilfe zur Selbsthilfe zu leisten", sagt Saleh, während er kleine bunte Flyer in Deutsch, Türkisch und Arabisch herüberreicht, die die Arbeit der zahlreichen Projekte des Elternzentrums skizzieren. Diese Flyer werben für Schulungen zu Themen wie gesunde Ernährung, Sprachentwicklung oder Entwicklungsaufbau der Kinder. So wollen die Mitarbeiter des interkulturellen Elternzentrums die Mütter der Kinder, die Kitas besuchen, gezielt ansprechen. Berlin-Neukoelln

"Die Frage, die wir uns jetzt stellen mussten, war aber: Wie erreichen wir auch die Eltern derjenigen Kinder, die keinen Kontakt zu Kitas haben?", erklärt der 31-jährige der auch selbst Familienvater ist. Daraus entstand dann die Idee des Stadtteilmutterprojekts. Vorbild war hier das 'Rucksackprojekt' in Rotterdam. "Die Idee dahinter ist, dass motivierte und engagierte Eltern andere Eltern aufsuchen und ihnen die Arbeit des Elternzentrums näher bringen." Im Gepäck haben sie eine gelbe Tragetasche mit allerhand Ordnern, Flugblättern in Deutsch und in der jeweiligen Muttersprache und Adressverzeichnissen von Beratungsstellen. Auch kleine Mitbringsel für die Kinder, wie Malbücher oder Spielzeuge, sind dabei.

Die Stadtteilmütter suchen das Gespräch mit den Eltern, klären sie auf, erzählen über sämtliche Aspekte der Erziehungsfragen zu Kleinkindererziehung. Ob Fragen zum deutschen Schulsystem und zu Kindertagesstätten, zur sprachlichen Entwicklung des Kindes, zur Sexualentwicklung, zum Umgang der Kinder mit den Medien, zur körperlichen Entwicklung oder zur gesunden Ernährung des Kindes - zu jedem Thema beraten die Stadtteilmütter.

"Wichtig ist, dass ein solches Gespräch immer in Form eines gegenseitigen Austauschs der beiden Frauen stattfindet, und nicht in Form eines Vortrags", weiß Maria Macher (36 Jahre), Leiterin des Stadtteilmütterprojekts. Natürlich unterliegen die Stadtteilmütter dabei auch einer Art Schweigepflicht; die Namen der Familien, die sie besuchen, werden nirgendwo gelistet oder weitergeleitet. Und wenn beispielsweise auf einer Fortbildung über die Probleme der Familien gesprochen wird, bleibt die Anonymität natürlich gewahrt. Eine Stadtteilmutter stattet einer Familie zehn Besuche in einem Zeitrahmen von anderthalb bis zweieinhalb Stunden ab. Die Mütter hätten theoretisch jederzeit die Möglichkeit, die Beratung abzubrechen. Dies ist aber noch nie passiert. "Jede der insgesamt 150 betreuten Familien hat die Hilfe immer herzlich aufgenommen", so Macher.

Derzeit gibt es insgesamt 36 aktive Stadtteilmütter. Neben der Hilfe zur Selbsthilfe, die diese leisten, hat das Projekt auch noch weitere Vorzüge: Die Mütter bekommen eine Aufwandsentschädigung von 180 Euro pro zehn Besuche bei einer beratenen Familie. Als weiterer Anreiz soll ein Zertifikat dienen, das sie ausgestellt bekommen. Damit werde den Müttern zum einen die Möglichkeit zum Einstieg ins Berufsleben geliefert, zum anderen stärke dies ihr Selbstwertgefühl. "Das ist sozusagen wie eine Art ABM-Stelle", meint Saleh.

Und so ist das Stadtteilmütterprojekt ein gutes Beispiel dafür, wie Integration nach dem Modell "Hilfe zur Selbsthilfe" funktionieren kann. "Vielleicht können wir nur einen minimalen Beitrag leisten, aber das ist ja zumindest schon mal ein Anfang", rsümiert Saleh. Ein Anfang ist es in der Tat, und vielleicht ein Modell für andere Städte, die Integration weiter voranzutreiben. Denn soziale Brennpunkte und Integrationsprobleme gibt es nicht nur in Großstädten wie Berlin, sie existieren überall auf der Welt. Das Stadtteilmütterprojekt kann man als eine Art Leitfaden sehen, um dieses Problem zu bekämpfen.

[Dieser von mir geschriebene Artikel ist im Oktober 2006 im Rahmen der Berliner Diakonie-JugendPresseTage der Jungen Presse e.V. entstanden.]

Das Foto in diesem Blogeintrag ist unter der Creative Commons-Lizenz Namensnennung 2.0 US-amerikanisch (nicht portiert) lizenziert. Der Fotograf ist Georg Slickers. Er erlaubt die Nutzung und Weiterverbreitung des Fotos, unterstützt aber weder mich noch meine Verwendung des Werks.

Homepage des interkulturellen Elternzentrums: http://www.schillerpromenade-quartier.de/Diakonisches-Werk-Neukoelln-Oberspree-e-V-Interkulturelles-Elternzentrum.767.0.html
Homepage der Jungen Presse e.V.: http//www.junge-presse.de
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