Donnerstag, 27. Oktober 2011

Wenn die Kirmes plötzlich kein sicherer Ort mehr ist

Foto-Ausstellung im ecos office center Essen zeigt den Mensch und seine Beziehung zur Stadt

Ein Parkplatz irgendwo in Schweden. Überall auf dem Asphalt sind Reifenspuren und Dreck zu sehen. In der Mitte steht ein kreisrundes, weiß-blaues Schild. Der rot-gelbe Schriftzug darauf wirbt für eine bekannte Schnellimbiss-Kette. Das Schild ist zur Hälfte zertrümmert, sodass der Betrachter hindurchschauen kann. Es wirkt beinahe so, als klaffe eine riesige, offene Wunde in diesem eigentlich leblosen Gegenstand. Im Hintergrund sind Bäume und eine Holzhütte zu sehen. Daneben parkt ein einzelner Transporter. Alles wirkt einsam und verlassen. Wie im Niemandsland sieht es hier aus. Einladend ist die Szenerie nicht. Dennoch hat das Bild eine gewisse Ästhetik. Die unberührte Natur steht im Gegensatz zu einer trostlosen, verschmutzen Facette der Zivilisation.

Dieses Motiv gehört zu den Fotos, die Mathis Valtin Günther in seiner neuen Ausstellung in den Räumen des ecos center Essen, Weidkamp 180, präsentiert. Dem 28-jährigen Borbecker gefällt es, in seinen Bildern Kontraste aufzuzeigen. „Urban Mix“ ist der Titel seiner mittlerweile zweiten Ausstellung. Hätte sie einen Untertitel, könnte dieser etwa „Menschen und Plätze im urbanen Raum“ lauten. Denn neben den teils bezaubernden, teils unheimlich wirkenden Natur- und Landschaftaufnahmen sind es vor allem Menschen in Alltagssituationen, die Günther mit seinen Fotografien abbildet: Eine junge Frau, die an einer Straßenecke steht und wartend ihren Cappuccino aus einem Plastikbecher schlürft; hinter ihr ein riesiges, graues Gebäude. Eine ältere Dame mit Hut und Mantel, die auf einer Parkbank sitzt, die Augen starr geradeaus gerichtet, während sie sich eine Zigarre anzündet. Drei Jugendliche, die in einem Hauseingang rumlungern, anscheinend ins Gespräch vertieft. Der Mensch und seine Beziehung zur Stadt – das ist eines von Günthers Lieblingsthemen, das sich wie ein roter Faden durch die Ausstellung zieht.

Motive aus Berlin, Essen, Bottrop, New York und Schweden sind zu sehen. „Die Fotografie ist für mich eine Art, eine Stadt kennen zu lernen und an die Stadt ranzugehen“, meint Günther. Seine Motive entstehen meist spontan, häufig bei Stadtspaziergängen. „Oft ärgere ich mich auch, wenn ich ein gutes Motiv sehe, aber keine Kamera dabeihabe“, erzählt er.

CIMG5721 Günthers Leidenschaft für die Fotografie hängt mit seiner Berufsausbildung zusammen. Er ist angehender Architekt. Den Bachelorstudiengang Landschaftsarchitektur in Höxter hat er bereits erfolgreich abgeschlossen; seit Oktober macht er seinen Master „Städtebau NRW“ an der Fachhochschule Köln. „Als Architekt muss man mit Stadt und Landschaft zusammenarbeiten. Das eine Stadt nicht immer nur schön ist, hat für mich etwas Reizvolles“, so Günther. Seine Fotos sind Momentaufnahmen, die er hinterher nur geringfügig mit einem Computerprogramm bearbeitet. „Ich mache allenfalls eine Farbkorrektur. Eine Bildmontage käme für mich nie in Frage, obwohl ich das theoretisch machen könnte“. Einen professionellen Foto-Kurs oder ähnliches hat Günther nie belegt, sondern sich das komplette Handwerk autodidaktisch beigebracht.

„Urban Mix“ wurde am Freitag mit einer Vernissage eröffnet. Anne Hermanski, Inhaberin des ecos office center Essen, freut sich, dass die Werke des Jungfotografen nun in ihren Räumen hängen, und lobte dessen Werke: „Handykameras sind heutzutage überall. Jeder kann Fotos machen, so scheint es. Aber Fotokunst ist etwas völlig anderes, und der Beweis dafür hängt hier an den Wänden.“

Manchmal haben die Foto-Motive Günthers geradezu etwas Morbides und Gruseliges. Beispielsweise seine Serie über die Düsseldorfer Kirmes. Diesen Ort, den seine Besucher üblicherweise als Zentrum von Freude und Spaß empfinden, zeigt er aus seiner völlig anderen Perspektive: „Die Kirmes ist kein sicherer Ort, an dem man sich abends gerne aufhalten möchte“, findet der Fotokünstler. Das hat er versucht, durch eine Veränderung von Farben und Perspektive auszudrücken: „Zum Beispiel bei diesem Bild“ – er deutet auf die Nahaufnahme einer Geisterbahn. Hier sieht man gesättigte Farben und eine erschöpfe Frau im Kassenhäuschen, die ihren Blick nach unten gesenkt hat. „Da bliebt einem der Spaß ein bisschen im Halse stecken“, so Günther. „Außerdem wirft die Kirmes einen Kontrast auf: Das Personal, das in den Fahrgeschäften arbeitet, als Ruhepol zu der ganzen Bewegung, die um sie herum stattfindet.“

Doch der Foto-Künstler kann auch anders – ganz klassisch und idyllisch: Ein paar Schritte weiter hängen wunderschöne Naturaufnahmen aus Schweden. Fast mystisch wirken diese Landschaftsaufnahmen. „In der Mitte entspringt ein Fluss“ heißt eine davon – eines seiner beiden Lieblingsmotive. Sein zweites Lieblingsmotiv zeigt ein Werbeplakat auf dem New Yorker Times Square, das den Schauspieler und Regisseur Al Pacino abbildet. „Ich mag Al Pacino sehr. Er steht für so viel Leben“, begründet Günther seine besondere Verbindung zu diesem Foto.

Ob nun schön oder schaurig-schön: Die Besucher der Vernissage waren jedenfalls begeistert von Günthers Motiven. Der Künstler kann sich vor Begeisterung und Anerkennung seiner Gäste kaum retten: „Interessante Motive“, „Die Ausstellung hat meine Erwartungen übertroffen“ und „Eines der Fotos möchte ich auf jeden Fall für mein Wohnzimmer kaufen“, loben sie ihn.

Die Foto-Ausstellung „Urban Mix“ ist noch bis zum 23. Dezember im ecos office center Essen, Weidkamp 180, zu sehen. Geöffnet ist sie montags bis freitags von 10 bis 17 Uhr. Der Eintritt ist kostenlos. Alle Fotos sind in limitierter Stückzahl käuflich zu erwerben. Weitere Infos gibt’s auf http://www.ecos-office.com/essen oder auf http://www.mathisvaltinguenther.de.

[Dieser von mir geschriebene Artikel ist am 20. Oktober 2011 in Ausgabe 42 der "Borbecker Nachrichten" erschienen]
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